Anlässlich des 10. Weißensteiner Ritterspektakels vom 27. – 29. Juni 2014 in Weißenstein bei Regen, Bayerischer Wald, bestand Gelegenheit, mit einigen Lagergruppen Interviews zu führen. Hier stellen wir die Hirschensteiner Söldnerlanze vor.
Die Gruppe, die betont, kein Verein, sondern eine Interessengemeinschaft zu sein, stammt aus Rettenberg, etwas südöstlich von St. Englmar, Lkr. Straubing-Bogen, Bayerischer Wald. Die Hirschensteiner sind Stammgäste beim Ritterspektakel zu Weißenstein und kommen bereits seit der zweiten Veranstaltung im Jahr 2002.
Wie bei Batavis Gladii, die mit den Hirschensteinern nicht nur Zeltnachbarn sind, sondern ihnen auch sonst freundschaftlich verbunden sind, steht die Zeit des Hundertjährigen Krieges im Zentrum des Interesses. Die Hirschensteiner konzentrieren sich hier auf die Zeit zwischen 1380 und 1420.
Die Einrichtung des Lagers ist selbstgemacht. Auf das handgeschnitzte Gestühl und den massiven Holztisch der Einrichtung des Zeltes, in dem wir zum Gespräch zu Gast waren, können sie wahrlich stolz sein und präsentieren ihre Schmuckstücke auch auf ihrer Webseite www.hirschensteiner.de.
Das gevierte, weißgrundige Banner ist eine professionelle Anfertigung eines Fahnenherstellers, die im ersten und vierten Feld ein geständertes rotes Sankt-Georgs-Kreuz zeigt, während das eigentliche Hirschensteiner Wappen (geteilt, oben von Rot und Weiß gespalten, darin drei grüne Spitzen, unten Blau mit schwebender Tudor-Rose [die äußeren Blätter in Lancaster-Rot, die inneren in York-Weiß]) das zweite und dritte Feld belegt.
Was ihr eigenes Wappen betrifft, stehen Rot und Weiß für Straubing, die drei grünen Spitzen für die Bayerwald-Berge Arber, Pröller und den namensgebenden Hirschenstein, das Blau in der unteren Schildhälfte steht für die Donau, die Tudor-Rose nach ihren Angaben für König Henry V., den Sieger von Azincourt. (Henry V. wurde 1387 geboren, starb 1422 und stammte aus dem Haus Lancaster, für das die rote Rose stand … Der „Erfinder“ der Tudor-Rose – der Kombination von roter Lancaster- und weißer York-Rose – war Henry VII. aus dem Hause Tudor, der erst 1457 zur Welt kam. Anm. d. Verf.)
Das Sankt-Georgs-Kreuz steht für die englischen Langbogenschützen im Hundertjährigen Krieg, als die sie auftreten.
Begonnen haben die Hirschensteiner 1999 als Hirschensteiner Bogengilde. Da die von ihnen gewählte Zeit aber schon die ersten Handfeuerwaffen hervorbrachte, kamen bald Hakenbüchsen und Bombarden zu Langbögen, Armbrüsten und Stangenwaffen hinzu. Um möglichst alles glaubwürdig präsentieren zu können, beschloss man 2003 die Umbenennung in Hirschensteiner Söldnerlanze. Als Söldnertruppe war man bezüglich der Waffen flexibler.
Nachdem die Auflagen für die Böllerwaffen immer strenger wurden, gaben sie die Vorführungen dieser Waffen jedoch auf. Die dafür erforderlichen Scheine sind immer noch vorhanden, so dass sie jederzeit auch wieder ihre Hakenbüchsen und Bombarden zum Leben erwecken könnten.
In den Anfängen haben die Hirschensteiner Veranstaltungen von Südtirol bis nach Lütjenburg in Schleswig-Holstein besucht, jetzt findet man sie noch auf zwei oder drei ausgewählten Veranstaltungen im Jahr. Jeder muss dafür Urlaub nehmen; es ist eine reine Hobbygemeinschaft und keine professionelle Darstellertruppe.
In Weißenstein nehmen die Hirschensteiner an den Waffenvorführungen und an der Feldschlacht teil. Wenn sie ausfällt – wie 2012 und auch 2014 – dann folgt eine Sondervorführung der Hirschensteiner als Bogenschützen, aber auch als Vortragskünstler, die Kämpfe sehr anschaulich beschreiben können. Nach eigener Aussage sind sie „das geplante Notprogramm“.
Speziell, was die Waffenvorführungen betrifft, haben sie sich zum Ziel gesetzt, den „Hollywood-Blödsinn“ hinsichtlich der Bogenschützen, der Schwertkampf- und Sprengtechnik aus den Köpfen zu bekommen. Sie wissen, wovon sie reden, denn ihre Pfeile sind selbst angefertigt, ihre Webseite gibt Tipps zum Pfeilbau, Erklärungen zur Armbrust und zu Geschützen.
Bogenschützen wie die Idole wohl jedes Bogensportanfängers – Robin Hood, Paris von Troja oder Legolas vom Düsterwald –, die auch in der wildesten Schlacht gezielt tödlich schießen, verweisen sie eindeutig in die Welt der Sagen, Legenden, Fabeln und Spielfilme mit unzutreffenden Drehbüchern.
Englische Langbogenschützen, das werden sie nicht müde zu sagen, schossen in großen Verbänden (bei Crecy 1346 zum Beispiel etwa 12.000 Mann) und bis zu 12 Pfeile pro Minute (also alle 5 Sekunden!!!). Man kann sich unschwer vorstellen, dass bei 12.000 Schützen und einer Schussfolge von 12 Pfeilen pro Schützen innerhalb einer Minute bis zu 144.000 Pfeile auf die Gegner niedergingen. Das muss eine Wolke gewesen sein, die die Sonne verdunkelte … Ein solcher Pfeilhagel war noch tödlicher als gezielte Schüsse einzelner Spitzenschützen, weil die hoch geschossenen Pfeile beim Herunterfallen zusätzliche Geschwindigkeit aufnehmen. Bogenschützen waren deshalb auch ohne erfundene elbische oder sagenhafte göttliche Präzision wirklich gefürchtete Gegner, selbst wenn nicht jeder Einzelne Prinz Legolas, Paris von Troja oder Apollon selbst Konkurrenz gemacht hätte.
Dass der Bogen – ob Langbogen oder Reiterbogen – auch eine Jagdwaffe war, die präzises Schießen erforderte, steht dem nicht entgegen. Gejagt wurde aber auf Entfernungen von nicht mehr als 30 Metern. In einer Schlacht galten Bogenschützen jedoch als „Fernkampfwaffe“, die ihre Gegner auf 200 bis 250 Meter Distanz bekämpften.
Lange Schwertgefechte, wie sie in Filmen zu sehen sind, entsprechen nach den Worten meiner Interviewpartner nicht der Realität. Jeder Schwertkämpfer versuchte natürlich, mit so wenig Aufwand wie möglich seinen Gegner zu fällen. Zwei, drei Hiebe, dann lag einer von beiden mindestens kampfunfähig am Boden. Lange Hiebwechsel bis zu fünf Minuten oder noch länger wären in einer Schlacht schon wegen des Getümmels gar nicht durchführbar gewesen. Natürlich ist es für die Zuschauer interessanter und spannender, wenn sich zwei Kämpfer ein langes, actionreiches, augenscheinlich ausgeglichenes Gefecht liefern. Aber es reißt bei den Hirschensteinern an den Zähnen …
In Sachen Sprengtechnik krempeln sich den Spezialisten unter ihnen ebenfalls die Fußnägel hoch, wenn sie in Filmen eine langsam laufende Flamme auf einer Schwarzpulverspur sehen oder davon lesen müssen. Nach Aussage meiner Gesprächspartner zündet das Pulver so schnell, dass eine laufende Flamme mit bloßem Auge nicht verfolgbar ist. Zünden – kawumm!
Bleibt nur noch die Frage, wie die Spezialeffektabteilungen der Filmbranche so etwas vor der Erfindung von CGI hinbekommen haben …